Nandu und der KZ-Vergleich

In Tierrechtskreisen ist hin und wieder vom sogenannten "KZ-Vergleich" die Rede. Gemeint ist eine Gegenüberstellung der Behandlung von Tieren in unserer Gesellschaft mit den Opfern Deutschlands zur Zeit des Nationalsozialismus. Beispielsweise werden manchmal Parallelen zwischen Konzentrationslagern und Schlachthäusern gezogen, um die schlechte Behandlung der Tiere durch den Menschen zu verdeutlichen und zudem Aufmerksamkeit für die eigene Tierrechts-Botschaft zu erlangen. Von der Allgemeinheit wird insbesondere kritisiert, dass hierbei Menschen mit Tieren verglichen werden, doch auch abseits dieser Argumentation ist eine solche Gegenüberstellung stark umstritten. Dieser Text soll erläutern warum der KZ-Vergleich meiner Meinung nach ethisch verwerflich und nicht mit dem Selbstverständnis von Nandu vereinbar ist.

Bevor ich näher darauf eingehen, sei kurz die Frage nach dem Nutzen des Vergleichs erlaubt. Hilft ein Vergleich mit den unvorstellbaren Verbrechen in den Konzentrationslagern auch nur im geringsten, sich die Qualen der Tiere in Tierverwertungsfabriken vorstellen zu können? Nur die wenigsten noch lebenden Menschen haben die Situation in Konzentrationslagern wirklich miterlebt. Wäre eine Beschreibung der tatsächlichen Leiden der Tiere zu diesem Zweck nicht viel sinnvoller? Führt eine derart drastische Gegenüberstellung gesellschaftlich nicht eher zu einer Abwehr-Haltung und Verschließung als zu Reflexion und Sensibilisierung für Tierrechtsthemen? Liefert der Vergleich nicht außerdem gut geeignete Angriffsfläche, um die gesamte Tierrechtsbewegung als antisemitisch und rechts darzustellen und damit zu delegitimisieren?
Die Verwendung des KZ-Vergleichs ist jedoch keine Frage der Strategie, denn es gibt weitaus gravierendere Gründe dagegen:

1.) Der KZ-Vergleich ist inhaltlich und historisch falsch.

Bei der besagten Gegenüberstellung werden lediglich die Phänomene des Grauens verglichen; die Hintergründe werden komplett außer Acht gelassen, was unter anderem der Aufklärung der Gesellschaft zuwider läuft.
Tierverwertungsbetriebe (wie zum Beispiel Schlachthöfe) sind Fabriken, die nach kapitalistischen Prinzipien funktionieren und das Ziel haben Profite zu erzielen, indem sie beispielsweise kontinuierlich die Nachfrage der Ware "Fleisch" befriedigen. Im Gegensatz dazu schreibt Moishe Postone in 'Nationalsozialismus und Antisemitismus' (1) über Konzentrationslager und Shoa:

'Der Holocaust hatte keine funktionelle Bedeutung. Die Ausrottung der Juden war kein Mittel zu einem anderen Zweck. Sie wurden nicht aus militärischen Gründen ausgerottet oder um gewaltsam Land zu nehmen [...] Es gab auch kein "äußeres Ziel". Die Ausrottung der Juden mußte nicht nur total sein, sondern war sich selbst Zweck - Ausrottung um der Ausrottung willen [...].'

Weiterhin schreibt er:

'Eine kapitalistische Fabrik ist ein Ort, an dem Wert produziert wird, der "unglücklicherweise" die Form der Produktion von Gütern annehmen muß. Das Konkrete wird als der notwendige Träger des Abstrakten produziert. Die Ausrottungslager waren demgegenüber keine entsetzliche Version einer solchen Fabrik, sondern müssen eher als ihre groteske arische "antikapitalistische" Negation gesehen werden. Auschwitz war eine Fabrik zur "Vernichtung des Werts", das heißt zur Vernichtung der Personifizierung des Abstrakten.'

Dies verdeutlicht, dass es sich bei Konzentrationslagern um etwas vom Wesen her grundsätzlich anderes handelt als beispielsweise Schlachthäuser. Bei einem Vergleich wird oft der gesellschaftliche und politische Hintergrund vernachlässigt und die Problematik zusammengekürzt auf 'individuelles Fehlverhalten und Mangels an Mitgefühl' (2), was ihrer Sache nicht gerecht wird.

2.) Der KZ-Vergleich ist diskriminierend.

Wie eine Gleichung, funktioniert auch ein Vergleich immer in beide Richtungen: Mit dem Versuch das Leiden der Tiere auf das Leiden von Menschen zu übertragen, werden die Opfer der Verbrechen Nazi-Deutschlands auf eine Stufe mit Tieren gestellt. Innerhalb antispeziesistisch denkender Gruppen mag dies keine große Relevanz haben, doch in der breiten Gesellschaft werden Tiere als weit unter dem Menschen stehend angesehen und somit entsteht der Eindruck, als sollten bestimmte Menschen unter alle übrigen Menschen gestellt werden. Dies kann zu Empörung, aber auch zur Bestärkung unterschwellig vorhandener rassistischer Denkweisen führen.
Schlimmer noch: Durch den Vergleich werden die Opfer zu Täter_innen gemacht, denn schließlich konsumierten viele von ihnen auch Fleisch. 'Wenn es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi' (3), ist beispielsweise ein in diesem Zusammenhang gerne genanntes Zitat.
Es spielt hierbei keine Rolle, ob vielleicht auch einzelne Betroffene der NS-Verbrechen den Vergleich befürworten mögen, denn der Vergleich ansich ist diskriminierend und schließlich geht es um alle Betroffenen, um die Anerkennung ihres Leidens und um Respekt ihnen gegenüber.

3.) Der KZ-Vergleich verharmlost NS-Verbrechen und ebnet Holocaust-Relativierer_innen den Weg.

Werden Schlachthöfe oder andere Tierverwertungsbetriebe zu Kozentrationslagern, deren Angestellte zu KZ-Wächter_innen und die fleischessene Mehrheit der Bevölkerung zu Befürworter_innen des NS-Regimes, so werden die nationalsozialistischen Verbrechen zur Normalität. Heben sich die Schrecken in den Vernichtungslagern Nazi-Deutschlands überhaupt noch hervor, wenn der alltägliche Fleischkonsum der Bevölkerung argumentativ auf die gleiche Stufe gestellt wird? Wenn heute tagtäglich vom Großteil der Bevölkerung ähnlich schlimme Verbrechen begangen oder (durch Konsum von "Fleisch") in Auftrag gegeben würden, wie könnten dann die Schrecken in den Vernichtungslagern Nazi-Deutschlands noch beschrieben werden?
Dies zeigt eine große Gefahr des KZ-Vergleichs: Die Verbrechen der NS-Zeit werden dadurch verharmlost, ja geradezu gewöhnlich und normal. Die Singularität des Holocaust wird bestritten, Holocaust-Relativierer_innen der Weg geebnet und ein fließender Übergang zu nationalsozialistischen Ideologien geschaffen.

Im Nandu-Selbstverständnis werden diskriminierende und menschenverachtende Inhalte klar ausgeschlossen. Es mögen viele Vorgehensweisen und Strategien zu einer Befreiung der Tiere und einer herrschaftsfreien emanzipierten Gesellschaft führen, der KZ-Vergleich gehört jedoch definitiv NICHT dazu.

23.2.2010, Luis


Fußnoten/Quellenangaben

  • (1) Moishe Postone: 'Nationalsozialismus und Antisemitismus' aus dem Englischen von Renate Schumacher und Dan Diner, 1982. Erschienen in: D. Diner (Hrsg.): 'Zivilisationsbruch', S. 242ff
  • (2) Susann Witt-Stahl: 'Das Tier als "der ewige Jude"?'. Erschienen in: Susann Witt-Stahl (Hrsg.): 'Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen - Beiträge zu einer kritischen Theorie für die Befreiung der Tiere', Alibri Verlag 2007, S. 285ff
  • (3) Dieses Zitat wurde beispielsweise vom KZ-Vergleich Befürworter Helmut F. Kaplan in: 'Wahrheitsverachtend! - Die Kritik an Petas Holocaust-Vergleich ist gefährlicher Unsinn' (www.tierrechte-kaplan.org/kompendium/a254.htm) verwendet und wird als Legitimation für den KZ-Vergleich verwendet, da es vom jüdischen Schriftsteller Isaac B. Singer stammt. Nach Susann Witt-Stahls Ausarbeitung 'Das Tier als "der ewige Jude"?' (1) ist dieser Satz allerdings einer Geschichte Singers entnommen und wird komplett aus dem Kontext gerissen zitiert.


ergänzende Literatur:

  • Tierrechts Aktion Nord (TAN), Susann Witt-Stahl: 'Auschwitz liegt nicht am Strand von Malibu und auch nicht auf unseren Tellern - Kritische Anmerkungen zum "KZ-Vergleich"', http://www.tierrechts-aktion-nord.de
  • Tierrechts Aktion Nord (TAN), AG des Hamburger Tierbefreiungstreffs: 'PETAs Kampagne "Der Holocaust auf Ihrem Teller" - Eine Kritik aus der Tierbefreiungsbewegung', 2004, http://www.tierrechts-aktion-nord.de
  • Berliner-Tierrechts-Aktion (BerTA): 'Offener Brief der Berliner Tierrechtsaktion an A.K.T.E.', 2006, http://berta-online.org

 

Kategorien: Holocaust, Holocaust-Relativierung, KZ-Vergleich, Nandu, Nationalsozialismus, Selbstverständnis, Shoa.



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